Der Sieg der Auferstehung
„Woche für Woche also, wenn ihr die Kunde, dass Christus auferstanden ist, vernehmen werdet, vergesst nicht, dass wir alle dazu berufen sind, bereits hier auf der Erde wie Auferstandene zu leben. Dafür jedoch müssen wir so lieben, dass wir uns nicht fürchten durch die Tore des Todes zu gehen, mit dem Kreuz in die Hölle zu steigen, mit unserer Liebe an den Leiden unseres Nächsten teilzuhaben, sich selbst zu vergessen, um dann plötzlich zu begreifen, dass wir LEBEN – LEBEN durch das Göttliche Leben Christi.“ – aus einer Predigt zur Nachtwache in der Kirche zu Ehren Johannes des Täufers (Krasnaja Presnja) in Moskau von Metropolit Antonij von Sourozh
Статья

29. Mai 1971

Jede Woche, das ganze Jahr hindurch und dies schon seit Jahrhunderten verkündet die Orthodoxe Kirche die Auferstehung Christi. Jede Woche werden wir immer wieder von Freude erfasst, dass der Herr auferstanden ist. Diese Freude ist so tief, dass sie von sich selbst spricht. Wir jubeln nicht nur, weil der Herr auferstanden ist, sondern auch deshalb, weil Seine Auferstehung für uns den Beginn eines neuen und erneuerten Lebens bedeutet. In der Botschaft des Johannes Chrysostomos, welche wir in der Osternacht verlesen, heisst es: Christus ist auferstanden und es ist kein einziger Toter mehr in den Gräbern. Diese Nachricht verkünden wir nun schon viele Jahrhunderte hindurch. Ist dies aber auch wahr, was wir da verbreiten? Ist es etwa nicht offensichtlich, dass der Tod weiterhin überall sein Unwesen treibt? Selbst die christlichen Kirchen sind voller Gräber? Wie können wir also sagen, dass es keinen Toten mehr gibt in den Gräbern, dass Christus mit Seinem Tod den Tod besiegt hat?

Wir können dies so sagen, weil man den Tod in zwei Dimensionen betrachten muss, die sich sehr von einander unterscheiden. Deshalb können wir in der Tat behaupten, dass die Gräber leer sind. Bevor Christus zu uns kam, gab es für keinen Menschen, der starb - ob er nun ein gerechtes Leben geführt hatte oder nicht - die freudige Aussicht auf eine Begegnung mit Gott. Nach alttestamentlicher Vorstellung hat die Sünde unserer Ureltern, Adam und Eva, dem gesamten menschlichen Geschlecht die Möglichkeit verschlossen, den Schein und die Freude, ja die Herrlichkeit Gottes zu erblicken. Jeder, der starb, versank in den Abgründen des Grauens und des Abschieds von seinem Gott und so in der Folge auch des Abschieds von allen ihm nahe stehenden Menschen. Der Tod hat aber, wie gesagt, eine zweifache Dimension. Es war nicht nur der irdische Tod, wenn die Seele sich vom Körper löst, auffliegt und zu Gott eilt, um sich vor dem Thron des Herrn zu verneigen, Der sie von den Leiden des irdischen Lebens tröstet. Es gab auch einen zweiten Tod, ein zweites Abschiednehmen. Solange der Mensch noch auf der Erde lebte, konnte er auf irgendeiner Weise mit einem Teil seiner Seele wenigstens den Saum des Gewandes der Herrn berühren. Nach dem Tod jedoch war dies nicht mehr möglich und die Trennung von Gott endgültig und grauenvoll. Jahrtausende hindurch haben Menschen auf den Heiland gewartet, damit Er den Himmel mit der Erde und Gott mit Seiner Schöpfung vereinigt. Bevor der Herr, unser Heiland Jesus Christus, gekommen war, war dieser Abgrund zwischen Gott und Seiner Schöpfung dunkel und furchtbar.

Der Herr ist dann gekommen und Er ist am Kreuz den Tod eines Menschen gestorben. Er hat dabei das  grauenhaften Erwarten des Todes und die Einsamkeit Selbst durchlebt. Erinnert ihr euch an die Geschehnisse im Garten von Gethsemane? Vater, wenn es möglich ist, dann lass diesen Kelch an mir vorrübergehen!  Es hat wie alle Menschen diese furchtbare Trennung von Gott erlebt, als Er am Kreuz hängend zu Gott rief: Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?Daraufhin dann ist Er in die Hölle gelangt, in die Hölle!

Die Hölle hat voller Freude ihren Rachen weit aufgetan, in der Hoffnung, dass nun Der, Der auf der Erde unbesiegbar war, ihr Widersacher und Feind, endlich besiegt und gefangen ist. Johannes Chrysostomos schreibt: Die Hölle hat sich aufgetan und, um den Leib aufzunehmen, sich ganz geöffnet. Damit jedoch hat sie die Gottheit in sich eingelassen.

Die Hölle hat sich aufgetan, um den menschgewordenen Sohn Gottes gefangen zu nehmen, doch vor ihr erstand der Lebendige Gott und ging in sie ein und erfüllte alles in ihr mit Sich Selbst, und zerstörte somit die Hölle für alle Ewigkeit. Die Hölle ist deshalb schon nicht mehr der alte grauenhafte Abgrund des ewigen Geschiedenseins von Gott. In ihr lebt nun der Lebendige Gott.

Wir kennen alle die geheimnisvolle Vision des Propheten Davids: Wohin soll ich vor Deinem Angesicht fliehen? In den Himmel? Dort ist Dein Thron. Fliehe ich in die Unterwelt, bist Du auch dort!

Für uns scheinen dies ganz einfache Worte zu sein, weil es diese unendliche Hölle, diese hoffnungslose Leere, in der Gott nicht ist, für uns schon nicht mehr gibt. Bei den Menschen des Alten Testaments jedoch haben diese Wort Verwunderung ausgelöst. Wie konnte Gott auch in jenem ewigen Abgrund des Nichts sein? David hat dies vorausgesehen und wie ein Prophet verkündet: Der Herr wird in die Hölle steigen und das ewige Geschiedensein von Gott wird schon bald überwunden sein.

Der Tod ist für uns heute etwas anderes. Er ist nun wie ein Entschlafen. Der Mensch schläft ein und ist von da an fern von den Aufregungen des Erdenlebens. Ruhe erfüllt seinen Leib. Er liegt nun so, wie Christus an jenem geheimnisvollen gesegneten Sabbat im Grab lag, als der Herr von uns ging und von Seinen Werken ausruhte, von Seinen Anstrengungen, um den Menschen das Heil zu bringen, von Seinen Leiden, und von Seinem Tod am Kreuz. Jeder, der stirbt, entschläft heute in Christus. Er entschläft im Leibe bis zu jenem Tag, an dem auch sein Leib bei der letzten Posaune auferstehen wird, am Tag der Auferstehung der Toten. Selig sind von nun an, die im Herrn sterben, spricht Johannes in seiner Offenbarung.

Deshalb braucht ein Christ den Tod nicht zu fürchten. Deshalb konnte einst ein Mensch, der mir sehr viel bedeutete, zu mir sagen: „Erwarte deinen Tod so, wie ein junger Mann seine Braut erwartet!“ Mit einer ebensolchen Ergriffenheit, mit einem solchen Jubel in der Seele könnten wir deshalb dem Tod sagen: „Komm, öffene mir die Tore zur Ewigkeit, damit mein vielgeplagter Leib endlich Ruhe finden möge und meine Seele in die ewigen Gemächer Gottes entfliegen kann“. Dies ist der Grund, warum wir aufrichtig und wahrhaftig behaupten können, dass Christus mit Seinem Tod den Tod besiegt hat und dass es in den Gräbern keinen Toten mehr gibt. Das Grab ist kein Kerker mehr oder  ein Ort ewiger und engültiger Gefangenschaft. Es ist ein Ort geworden, wo der Leib auf seine Auferstehung wartet, solange noch die Seele zu ihrer vollen Größe für das ewige Leben heranwächst.

Der Tod als Trennung und Abschied existiert heute in einem gewissen Maße nur noch auf der Erde. Der Tod ist dort besiegt, wo sein Reich war. Der Mensch selbst jedoch setzt hier auf der Erde dieses Sich Trennen fort, in dem er andere Menschen von dem Geheimnis der Liebe zurückstößt. Schaut auf unsere menschliche Gesellschaft! Ihr müsst nicht weit von euch nach Beispielen suchen: Schaut auf eure Familien, auf die euch nächsten Menschen, auf euer Freunde, auf eure Gemeinde, auf die Kirche. Können wir etwa sagen, dass wir so in Liebe miteinander vereint sind, dass es auf der Erde keinen Tod mehr gibt, kein Geschiedensein von Gott, keine Trennungen untereinander? Gott hat alles besiegt, das Herz des Menschen muss der Mensch jedoch selbst besiegen.

Liebe und Tod sind unmittelbar miteinander verbunden. Deshalb fürchen wir uns so zu lieben. Einfach lieben, ohne Verantwortung tragen zu wollen, einfach nur so zu lieben, Beziehungen zu knüpfen und wieder zu lösen, wenn sie beginnen, uns weh zu tun, Probleme zu bereiten und uns furchtbar erscheinen, das können wir alle. So zu lieben jedoch, wie uns der Herr geliebt hat, das vermögen wir nicht. Der Apostel Paulus sagt uns: Nehmt einander an, liebt einander, wie der Herr euch geliebt hat. Wisst ihr, wie uns der Herr geliebt hat? Er hat uns so geliebt, dass Er selbst Mensch geworden ist. Er hat uns so geliebt, dass Er kein Fremder für uns bleiben wollte, sondern einer von uns wurde, ein Mensch unter Menschen – und dies nicht nur auf Zeit, sondern für die Ewigkeit, mit all der Schwere, mit all dem Schrecken, was dieses Teilhaben bedeutet. Die Herrlichkeit des Herrn ist verblasst bei seiner Menschwerdung, niemand hat Ihn erkannt, Sein Sieg erschien den Menschen als Niederlage. Er wurde der, über den die Heilige Schrift schreibt: Er ist ein Mann, der das Leiden erfahren hat. Er hat sich für immer mit uns verbunden. Können auch wir uns so auf immer mit jemandem verbinden? Können wir so lieben, dass wir bereit sind zu sagen: Für immer, sei es in Leid und in Freude, sei es im Grauen wie auch im Jubel, was auch immer geschehen mag, ich bleibe bei dir für immer? – Wenn dem so wäre, dann wäre unsere Erde so wunderbar. Wie wunderschön wäre es dann bei uns in der Kirche, was für eine Gemeinde hätten wir dann, was für Familien, was für Freunde! ... Unsere Begegnungen gleichen aber leider vielmehr denen von Schiffen auf dem Meer. Wir treffen uns und gehen dann wieder auseinander. Es fehlt an Tiefe wie auch an Treue. Wir sind nicht bereit, all das zu tun, was auch Christus getan hat: In die Hölle gehen, in die Hölle der Leiden dessen, den wir lieben, in die Hölle seiner Anfechtungen, in die Hölle seines Leidens, in die Hölle seines Untergangs. Wir stehen am Ufer und rufen einen anderen: „Lass dich retten, schwimm heran!  –  Ich reiche dir die Hand! Wir selbst aber wollen nicht mit ihm in die Hölle gehen und deshalb fällt es uns auch so schwer von Liebe zu sprechen und wirklich zu lieben. Denn wirklich lieben kann man nur so, wie uns der Herr geliebt hat. Tod und Liebe sind ineinander verschlungen, denn Lieben bedeutet sich selbst zu vergessen, gar nicht existieren zu wollen, nicht an sich zu denken, weil der andere Mensch so kostbar ist, dass jeglicher Gedanke an sich selbst nur stört. Man möchte dann zu sich selbst sagen, was Christus zu Petrus gesagt hatte, als dieser Ihn hindern wollte, nach Golgatha zu ziehen: Weich von mir, Satan, du denkst nur an das Irdische, nicht aber an den Himmel. ... Können wir uns so vergessen, können  wir so lieben, können wir so sterben?

Solange wir dies noch nicht können, berühren wir lediglich den Saum des Gewandes des Herrn. Wir haben dann nur ganz am Rande Anteil an dem Licht und dem Schein und den leuchtenden Strahlen der Auferstehung des Herrn. Mit der Auferstehung leben kann man nur, wenn man auch durch den Tod geht und jenseits von ihm weilt. Ich spreche hier nicht vom irdischen Tod, den realen und körperlichen, sondern von jenem Tod, der den Namen Liebe trägt, wenn ein Mensch sich ganz vergisst und so liebt, dass er sein Leben und seine Seele hingibt für seine Freunde. Die Heilige Schrift nennt Moses den Freund Gottes.Dieser sagte zu Ihm: Herr, wenn Du Deinem Volk nicht seine Sünde vergibst, dann streiche auch meinen Namen aus dem Buch des Lebens. Der Apostel Paulus sagte ebenso, dass er es vorziehen würde, von Christus getrennt zu sein, als den Untergang seines Volkes Israel mitansehen zu müssen. Dies sind Worte von Menschen, die scheinbar den Verstand verloren habe. Es sind vielmehr Worte von Menschen, die begriffen haben zu lieben. Damit sind sie schon jenseits des Todes. Mit unserer menschlichen Sprache sind wir hier an unsere Grenzen gekommen. Wir können nur sagen: Ja, es wäre besser, wenn ich zugrunde gehen würde, als dass ein einziger Mensch von Gott verstoße würde. ... Ein solches Maß an Liebe lehren uns das Kreuz und die Auferstehung, die untrennbar miteinander verbunden sind.

Woche für Woche also, wenn ihr die Kunde, dass Christus auferstanden ist, vernehmen werdet, vergesst nicht, dass wir alle dazu berufen sind, bereits hier auf der Erde wie Auferstandene zu leben. Dafür jedoch müssen wir so lieben, dass wir uns nicht fürchten durch die Tore des Todes zu gehen, mit dem Kreuz in die Hölle zu gehen, mit unserer Liebe an den Leiden unseres Nächsten teilzuhaben, sich selbst zu vergessen, um dann plötzlich zu begreifen, dass wir LEBEN – LEBEN durch das Göttliche Leben Christi.

Amen 

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