Das Gleichnis von den anvertrauten Talenten (Mt.25, 14-30)
„Das Gericht besteht nicht darin, dass der Herr  wiederkommt und es schrecklich sein wird, sondern darin, dass Er kommt und es uns dann so unendlich leid und weh tun wird, dass wir wir unser ganzes Leben verlebt haben, ohne richtig Mensch geworden zu sein: aus Feigheit, Schläfrigkeit, egoistischer Fahrlässigkeit oder einfach aus vergesslicher Sorglosigkeit. Das Gericht besteht darin, dass wir das Leben verlebt haben, ohne gemerkt zu haben, dass es eine Tiefe hat und eine Weite und dass das Leben in seiner Fülle aus den Tiefen Gottes strömt und uns in diese Tiefen mitreisst." - aus einer Predigt zu Gleichnis von den anvertrauten Talenten von Metropolit Antonij von Sourozh.  
Статья

Die Perikope ausdem Evangelium, die wir heute gelesen haben, ist eine aus einer ganzen Reihevon prophetischen Warnungen und gleichnishaften Erzählungen Christi, die dasJüngste Gericht zum Thema haben. Wenn man die Kapitel vierundzwanzig undfünfundzwanzig des Matthäusevangeliums,  aus dem die heutige Lesung entnommen ist, imganzen zusammen liesst, dann sehen wir, dass unser Heiland uns vor dreigrundsätzlichen Gefahren warnt, die uns vors Gericht bringen können, ohne dasswir darauf vorbereitet sind. Diese sind zum einen Sorglosigkeit, des weiterenKleinmut und ebenso ein Leben voller Hartherzigkeit oder Unmenschlichkeit,welches dem eines Menschen nicht würdig ist.

Sorglosigkeitbeschreibt Christus in drei Gleichnissen: erstens nennt er Sorglosigkeit ausSeelenruhe und Lustigkeit, welche wir als eine natürliche Sorglosigkeitempfinden. Christus meint dazu: Seid wachsam, denn das Gericht, der Tag desHerrn, kommt unverhofft, wie in den Tagen Noahs. Damals aßen und tranken dieLeute, heirateten und dachten an nichts größeres als die Erde und an nicht mehrals an die täglichen Freuden des Lebens. Das Gericht Gottes baute sich jedochauf wie ein Gewitter und entlud sich plötzlich voller Zorn und in Form derSintflut. So wird es auch beim nächsten Gericht sein: zwei Frauen werden ineiner Mühle Korn mahlen, die eine wird angenommen, die andere preisgegeben.Zwei Männer werden auf dem Acker sein, der eine wird mitgenommen, der anderezurückgelassen. Es ist jene Sorglosigkeit, die uns allen sehr vertraut ist, sieist quasi unser gewöhnlicher Zustand, an den wir gewöhnt sind, der zu unsgehört. Es ist unsere gutmütige Lustigkeit, die sich des Lebens erfreut unddabei ganz vergisst, dass das Leben nicht nur ein oberflächlicher Strom vonEreignissen ist, sondern eine Tiefe besitzt, die mit ihren Wurzeln in derEwigkeit gründet.

Eine andere Formvon Sorglosigkeit gleicht eher bösewilliger Fahrlässigkeit. Sie beruft sichdarauf, dass es Gott angeblich nicht besonder eilig hat, Gericht zu halten: DerApostel Petrus hat doch gesagt, dass Gott das Gericht herauszögert, weil Erlangmütig mit uns ist. In dem entsprechenden Gleichnis des Herrn imvierundzwanzigsten Kapitel bei Matthäus ist von einem Diener die Rede, der dazubestimmt war, über die anderen zu wachen. Es war ihm aufgetragen, die anderenzu beaufsichtigen, damit die Arbeit laufe und alles getan werde. Ebenfallssollte er dafür Sorge tragen, dass es allen gut geht im Hause des Herrn, auchwenn dieser verreist ist und so seine Leute nicht sehen und nicht für deren Wohlsorgen kann. Jener Diener jedoch dachte bei sich: „Der Herr kommt noch nichtall zu bald, lass mich derweil essen und trinken und lustig sein und die anderenantreiben und schlagen. Ich bin der Herr". Jener Diener dachte also, dass inder Zeit der Abwesenheit des Herrn, ihm dessen Würde zukommt. Doch der Herrkehrte zurück, als man ihn nicht erwartete und ertappte den unzuverlässigenDiener in seiner Lüge und trieb ihn fort. Dies ist die zweite Sorglosigkeit.Sie ist von übler Natur und böse, und auch sie gehört zu uns. Auch wir eilen nichtsonderlich, uns zum Guten hinzuwenden. Der Herr scheint uns noch hinter denBergen und das Gericht noch weit entfernt. Wir haben es nicht eilig, Gutes zuvollbringen, weil es dazu immer noch Zeit gibt. Irgendwann einmal, wenn wirmüde geworden sind von all dem Dunklen und Bösen, dann werden wir die Zeitfinden und uns dem Guten zuwenden. Doch der Tag des Herrn kommt, und kommt auchfür uns und an einem bestimmten Tag. Zu einer bestimmten Stunde eröffnet sich auchvor uns das Gericht, und dann werden wir uns vor ihm verantworten müssen.

Es gibt noch eineweitere Form der Sorglosigkeit, welche der Herr in dem Gleichnis der zehnJungfrauen beschreibt, von denen fünf klug waren, die fünf anderen jedochtöricht. Diese Sorglosigkeit könnte man Schläfrigkeit nennen, denn sie tutnichts. Sie hofft nur, dass es noch später genügend Zeit geben wird, um zu leben,um zu lieben, um dann die Dinge zu richten. Gott wird schon nicht während derNacht kommen. Man kann also noch weiter schlummern und weiter träumen und dann,wenn die ersten Anzeichen das kommende Gericht ankündigen, sich all die nötigenDinge zu Bewußtsein rufen. Das Gericht jedoch kommt in der Nacht, weil für den,der immer schläft auch immer Nacht ist. So wird es für ihn immer überraschendkommen.

Da ist also einelustige Sorglosigkeit, die eigentlich nichts böses an sich hat. Weiter eine diekeine Verantwortung kennt, gierig ist und in böser Absicht handelt, die mandeshalb böswillige Fahrlässigkeit nennen könnte, und da ist eine dritte, dieuns auch auf furchtbare Weise sehr eigen ist: morgen werden wir noch allesrichten können, heute lasst uns noch träumen. Dies sind das erste, vor dem derHerr uns warnt.

Weiter lesen wirdas Gleichnis von den anvertrauten Talenten. Der Herr gibt jedem von uns Gaben,die dem Maß seiner Kräfte entsprechen und beruft jeden aus diesen reichen Gabenebenso reiche Früchte zu bringen. Sehr oft jedoch machen wir nichts aus ihnen.Uns ist Verstand gegeben, doch wir bereichern diesen in keinster Weise. DerHerr hat uns ein einfühlsames Herz geschenkt, doch dieses belassen wir rein inder Möglichkeit mitfühlend zu sein. Wir lassen es ruhen in Selbstliebe undsomit versumpfen. Uns ist ein Wille gegeben, der sehr stark sein kann, der sichaber in Kleinigkeiten verausgabt und deshalb fruchtlos bleibt. Vieles haben wirerhalten, doch wir belassen es so, wie Gott es uns gegeben hat und bringenkeinerlei Frucht. Warum nicht?

Nicht immer ausSorglosigkeit, sondern eher, weil wir kleinmütig sind und feige. Uns scheintes, dass man, wenn man etwas erreichen will, alles riskieren muss: seine Ruhe,seinen Wohlstand, seine Beziehungen zu den Menschen, ja sogar sein Leben, allesoder zu mindestens einen Teil.  So ist esauch. Und wir denken: Lass mich dem Herrn das wiedergeben, was Er mir gegebenhat. Riskieren und sich verlieren und vor Gott sich dafür zu vernatworten -Nein. Wenn jedoch das Gericht kommt, dann kommt zu Tage, dass das, was unsgegeben wurde, niemals unser eigenes war, sondern immer dem Herrn gehörte. DerHerr holt Sich dann oft Sein Eigentum zurück und gibt es dem, der bereit war,sein Leben, seine Ruhe, sein Wohlergehen, ja Leib und Seele zu riskieren, umFrüchte zu bringen, um nicht schon zu Lebzeiten tot zu sein, sondern lebendigund um anderen Leben zu schenken. Hier sind wir oft zu kleinmütig.

Am Ende steht dasGleichnis von den Schafen und Böcken, vom Jüngsten Gericht, welches wir kurz vorder Großen Fastenzeit lesen. Worin besteht dieses Gericht? Es geht nicht darum,ob wir irgendwelche großen Visionen hatten, sondern darum, ob wir einfach nurMenschen waren und mit einem menschlichen, warmen, lebendigen Herzen auf dieNöte, auf das Leid, auf die Schmerzen und Gefahren eines anderen Menscheneingegangen sind. Wer es nicht gelernt hat, auf der Erde wahrhaft Mensch zusein, der kann auch im Himmel kein Mensch sein. Wer im kleinen nicht Menschwar, der wird niemals zur Größe des Menschen Jesus Christus heranwachsenkönnen.

Dieses sind Vorwarnungendes Herrn vor dem Gericht. Das Gericht besteht nicht darin, dass der Herr  wiederkommt und es schrecklich sein wird,sondern darin, dass Er kommt und es uns dann so unendlich leid und weh tun wird,dass wir wir unser ganzes Leben verlebt haben, ohne richtig Mensch geworden zusein: aus Feigheit, Schläfrigkeit, egoistischer Fahrlässigkeit oder einfach ausvergesslicher Sorglosigkeit. Das Gericht besteht darin, dass wir das Lebenverlebt haben, ohne gemerkt zu haben, dass es eine Tiefe hat und eine Weite unddass das Leben in seiner Fülle aus den Tiefen Gottes strömt und uns in dieseTiefen mitreisst.

Lasst uns überdiese verschiedenen Bilder nachdenken und sie uns immer wieder bewußt machen.Lasst uns nicht ein enges und armes Leben leben, in dem es nur um uns geht,sondern jenes weite, tiefe und kraftvolle Leben, welches in Gott gründet undwelches Gott mit unendlichen Kräften speist, welches uns in die Ewigkeit führt,wo alles seinen Platz hat, wo alles seine Größe erhält, weil der Mensch übersich hinauswachen kann, um Gottmensch zu werden, so wie es Jesus Christus war,durch die Gnade des Heiligen Geistes und durch die Liebe des Herrn.

Amen.          

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