Predigt zum „Gleichnis vom Verlorenen Sohn“ (Lk. 15,11-32)
„ ... Deshalb sind Versöhnungen oft so brüchig. Deshalb ist es so schwer  jemanden um Verzeihung zu bitten, weil man weiß, dass man ... auf eine geheuchelte Tugendhaftigkeit trifft, auf eine falsche Rechtschaffenheit, auf diese erniedrigende, kränkenden Rechtschaffenheit ... “ – aus der Predigt zum „Sonntag des Verlorenen Sohnes“ von Metropolit Antonij von Suroz.
Статья

Sinnt darüber, was Verzeihen bedeutet, denn bald ist der Sonntag des Vergebens!

26.02.1967

Die Evangeliumslesung von heute handelt nicht nur von Sünde und Buße, sondern auch von Vergebung, die uns von Gott geschenkt wird. Nachdem der abtrünnige Sohn nach Tagen voller Leid, Elend, Einsamkeit und Ausgestoßensein in sich gekehrt war, machte er sich auf den Weg zum Haus seines Vaters. Als er immer noch relativ weit vom Haus entfernt war, man ihn jedoch in der Ferne schon  erkennen konnte, erblickte ihn der Vater, der mit großer Wahrscheinlichkleit viele viele Male vor das Haus getreten war, um Ausschau zu halten nach seinem Sohn, in Erwartung und Hoffnung, dass dieser doch endlich zurückkehren möge. Im Evangelium heisst es, dass das Herz des Vaters beim Anblick seines Sohnes voller Mitleid und Zärtlichkeit für ihn war: „Er erbarmte sich seiner". Noch bevor der Sohn am Hause angelangt war, lief dieser alte Mann, dem die Laster und die Hartherzigkeit seines Sohnes schwer zugesetzt hatten, diesem entgegen, fiel ihm um den Hals, umarmte ihn und küßte ihn.

Gehen auch wir so aufeinander zu, wenn wir sehen, wie einer, den wir einmal Freund, Bekannten, Kamerad oder Verwandten nannten, aus der Entfernung, aus diesem fernen Reich, in das jeder von uns einmal im Leben (und manchmal auch öfter) durch eigene Lasterhaftigkeit und Schwachheit abrutscht, wieder zurückkehrt? Wie nehmen wir ihn auf?

Bleibt vor allem unser Verhältnis zu ihn immer so unerschütterlich, dass wir immer wieder vor unser Haus treten, vor das gemeinsame Haus, das Haus, welches als Symbol für unsere Freundschaft  steht, in der Hoffnung, dass er wieder auftauchen möge? 

Und dann, wenn wir bemerken, dass sich uns ein Mensch nähert, der uns einmal sehr nahe war, jetzt  jedoch fremd geworden ist, flammt dann in uns, in unserem Herzen die gleiche Liebe zu ihm auf, die gleiche Zärtlichkeit, das gleiche Mitgefühl wie früher? Wie oft sind wir es, die auf ihn zugehen, ohne dabei eine Entschuldigung, Reue oder ein Schuldgeständnis zu verlangen? Schliessen wie diesen Menschen in unsere Arme, halten ihn fest voller Zärtlichkeit und trösten wir ihn in seinem Leid, dass er sich unserer Freundschaft, in unserer Liebe als treulos erwiesen hat?

Verhalten wir uns nicht eher wie der andere Sohn, der sich vor seinem Vater nichts zu Schulde kommen hat lassen, der, nachdem er von der Feldarbeit heim gekommen war und vernommen hatte, dass das ganze Haus des Vaters feiert, statt in die allgemeine Freude einzustimmen, zuerst erfahren wollte, warum sich die Leute freuen, warum sie sich ohne ihn freuen,  der, nachdem man ihm gesagt hatte, dass der jüngere, verschollene Bruder zurückgekehrt ist, das Haus nicht mehr betreten wollte?

Sein Bruder aber, der schuldig geworden war, der jedoch, nachdem er begriffen hatte, was er getan hatte und erkannt hatte, in was für eine Lage er sich in diesem fernen Reich gebracht hatte, hatte alle Scham, alle Angst, alle Zweifel, wie man ihn wohl aufnehmen würde, überwunden und war losgezogen, heim zum Vater. Dieses Heim, wo die Leute sich nun freuen, weil der, der verloren war, zurückgekehrt ist ins Leben, will der rechtschaffende Sohn nicht betreten. Vielmehr wartet er, dass der Vater ihn bittet: Komm zu uns und freue dich mit uns. Ich freue mich, die Diener freuen sich und dein Bruder mit ihnen. Komm und feiere mit uns! Der Vater versteht, dass er diesen Rechtschaffenden gar nicht erst bitten braucht, dass dieser seine Freude in die allgemeine Freude mit einbringen möge, denn es ist klar, dass dieser keinerlei Freude darüber empfindet, dass ein Gestrauchelter wieder den Weg zurück zum Heil gefunden hat. ...

Schauen wir, was der Vater und was der rechtschaffende Sohn sagen: Zu seinem Vater sagt der letztere, dass der Vater ihn für all die Jahre vorbildlichen und arbeitssamen Lebens nie belohnt habe. Als ob er ein Lohnarbeiter wäre! Als jedoch „dieser dein Sohn" zurückkehrte, hast du das Mastkalb geschlachtet. Der Vater antwortet ihm: Sollten wir etwa kein Fest feiern, weil  „dein Bruder heim gekommen ist?" ... Der Rechtschaffende sieht in dem Verlorenen nur den abtrünnigen Sohn seines Vaters. Für ihn selbst ist er schon kein Bruder mehr. Erst der Vater erinnert ihn daran, dass, wenn der Verlorene ihm ein Sohn ist, dieser dem Rechtschaffenden ein Bruder ist.

Ich sage es noch einmal: Betrachten wir einen Menschen, der durch seine Laster schuldig geworden ist, auch gar nicht einmal uns gegenüber, sondern sich einfach ganz allgemein schlecht verhalten hat, noch als unseren Bruder? Nennen wir einen solchen nicht eher auch „deinen Sohn"  voller Hohn und Verachtung? Gestehen wir uns oft ein, dass ein solcher trotz allem uns ein Bruder ist, einer, der uns gleich ist, den der Vater liebt, und der folglich auch uns über alle Maße lieb sein sollte? Nein. Wir gleichen eher jenem Sohn, der sich für tugendhaft  hält, weil er immer gut seine Arbeit verrichtete, dabei aber dem Geist seines Vaters völlig fremd blieb.

Und noch etwas: Der Vater lässt den ankommenden Sohn die Bitte um eine Anstellung als Knecht nicht aussprechen. Als Knecht kann er ihn nicht beherbergen. Er kann ihn nur als zurückgekehrten Sohn bei sich aufnehmen.           

Der Vater gebietet den Dienern des Hauses: Bringt ihm sein früheres Gewand. Nicht das beste Gewand, das sich im Hause finden lässt, in dem er sich wie in jedem fremden Gewand nicht wiedererkennen würde, sondern jene Kleidung, die er trug, bevor er sich von dem Haus entfernet hatte und ein Fremder geworden war, die er damals von sich geworfen hatte, um sich anders, um sich in fremder Manier zu kleiden.

Und nachdem dieser anstelle seiner Lumpen seine alten Kleider angelegt hatte, an die er früher gewöhnt war, die ihm passten, die bequem waren, liess der Vater den Ring bringen. Nicht einfach nur einen gewöhnlichen Ring, sondern den Siegelring, mit dem in früheren Zeiten, als nur wenige Leute lesen und schreiben konnten, ein Mensch alle seine Schriftstücke und Briefe „unterzeichnete". Ein Siegelring, der dem, der ihn besaß, Macht gab über andere Menschen, Macht über Leben und Tod, Macht jemanden ins Elend zu stürzen, Macht, jemanden zu verleumden. (auch den eigenen Vater).

Warum tat der Vater dies? Warum forderte er nicht erst einmal Beweise von seinem Sohn, dass er wirklich Reue empfindet? Weil der Vater wußte, dass der Sohn, da er alle Scham und alle Angst überwunden hatte, für immer heim gekommen ist.

Und wir? Verhalten auch wir uns in dieser Weise, wenn zu uns ein Mensch zurückkehrt, der uns einmal sehr lieb und teuer war, der dann aber uns oder jemanden anderen, der uns vielleicht gar nicht mal so nahe steht, gekränkt und verletzt hat? Geben wir ihm all das, was wir einst für ihn empfunden haben? Umhüllen wir ihn mit der gleichen Wärme wie früher? Vertrauen wir ihm so, dass wir ihm solch einen Siegelring reichen, mit dem wir ihn an unserer Statt einen Brief unterschreiben lassen?

Nein. Und deshalb sind Versöhnungen oft so brüchig. Deshalb ist es so schwierig jemanden um Verzeihung zu bitten, weil man weiss, dass man nicht auf den Vater, sondern auf eine geheuchelte Tugendhaftigkeit trifft, auf eine falsche Rechtschaffenheit, auf diese erniedrigende, kränkenden Rechtschaffenheit dessen, der spricht: Du bist mir kein Bruder, auch wenn Jener dich ebenso wie mich als seinen Sohn bezeichnet. ...

Sinnt darüber, was es heisst zu verzeihen, denn in Kürze ist der Sonntag des Vergebens: Möge er nicht überraschend da sein. Möge es nicht so sein, dass wir nicht vegeben können. Möge sich diese unsere Unfähigkeit nicht gegen uns wenden und nicht gegen die, die wir verschmähen, denen Gott selbst jedoch wegen ihrer Reue, ihrer Leiden, ihrer Tränen und ihre seelischen Trauer schon längst vergeben hat.

Amen

Quelle: http://www.metropolit-anthony.orc.ru/inname/in_81.htm

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